Digitales Lernen im Unternehmen – heute und in Zukunft

29. November 2019 - Alle Kategorien, Zukunft des Lernens

Im Interview:
Jens Nicolas Bergner, NÜRNBERGER Versicherungsgruppe

Jens Bergner arbeitet seit neun Jahren in der Personalentwicklung verschiedener Versicherungsunternehmen, wo er sich schon nach kurzer Zeit zum Spezialisten für eLearning und Bildungstechnologien entwickelte. Der Germanist, Psychologe und Pädagoge hatte schon im Studium sein Faible für Medienpädagogik entdeckt. Wir wollten von ihm wissen, wie digital die Bildungslandschaft der Versicherungswirtschaft heute tatsächlich ist und was wir in der Zukunft aus seiner Sicht erleben werden.

Herr Bergner, absolut alles was digitalisierbar sei, heißt es in der Presse, werde zukünftig digitalisiert werden, auch die Bildung. Deutschland hinke diesem allgemeinen Trend hinterher.  Wie sind Ihre Erfahrungen? Wo stehen wir heute wirklich?

In unserem Unternehmen erstelle ich die eLearnings und konzipiere Webinare, die ich zum Teil selbst halte. Aber ich gebe auch Präsenzseminare. Es hat für mich denselben Stellenwert. Bei Präsenzseminaren liegt der Fokus aus meiner Sicht mehr und mehr auf Soft Skills, die sich elektronisch nur schwer abbilden lassen. Aber digitales Lernen ist definitiv auf dem Vormarsch.

Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Dafür gibt es mehrere Ursachen, zum Beispiel den Kostendruck. Digitales Lernen hat einfach die beste Kosten-Nutzen-Relation. Zum anderen gibt es immer wieder Gesetzes-Neuerungen und immer mehr Regularien, für die geschult werden muss. Davon ist unsere Branche ganz besonders betroffen. Generell nimmt das Wissen zu und veraltet gleichzeitig immer schneller. Was Sie heute lernen, ist nur noch mittel- und kurzfristig relevant. Daher werden Knowledge-on-Demand, Wissensmanagement und entsprechende technische Lösungen wichtiger. Gleichzeitig gewinnen Soft Skills und das Mindset der Mitarbeiter an Bedeutung. Nicht das angesammelte Wissen zählt, sondern die Fähigkeit und Bereitschaft sich neue Kompetenzen anzueignen.  Die Anforderungen an die Mitarbeiter wechseln und steigen, aber ihre Kapazitäten steigen nicht. Dem erhöhten und beschleunigten Bildungsbedarf lässt sich nur mit digitalem Lernen angemessen begegnen. Sie können damit sehr viele Menschen in kurzer Zeit kostengünstig erreichen.

Das heißt aber folglich, dass die Arbeit derjenigen, die das Wissen digital aufbereiten, ebenfalls zunimmt und sich beschleunigen muss. Ist das überhaupt zu bewältigen?

Auch hier ist einiges im Wandel. Wissensträger bereiten zunehmend das Wissen selbst auf und halten es aktuell. Das ist nur ein konsequenter Schritt. Die Wissensträger waren immer schon in die Konzeption eingebunden, sei es für Präsenzmaßnahmen oder für digitale Medien. Moderne Werkzeuge helfen dabei, diesen Schritt zu gehen.

Wie würden Sie die aktuelle Situation auf den Punkt bringen?

Heute ist der Sinn und Zweck von Blended Learning unumstritten. Jeder will seine Bildungsprozesse auf diese Art gestalten. Hemmend ist aber oft die veraltete Technologie in den Unternehmen. So etwas lässt sich nicht über Nacht erneuern. Nicht nur aus Kostengründen. Das wird einige Zeit in Anspruch nehmen.

Und welche Zukunft erwartet uns?

Ich glaube, dass es eine starke Tendenz zu All-in-One-Systemen geben wird, die Bildung und Verwaltung in einer Software abbilden.  Wenn ich beispielsweise die Ergebnisse eines Mitarbeitergesprächs in so ein System eingebe, wird es nicht nur den Bildungsbedarf erkennen, sondern gleichzeitig adaptive Lernwege empfehlen, in Präsenz oder virtuell.  In diesen Systemen wird auch Recruitment abgebildet werden. Es wird Online-Assessmentcenter geben. Einen weiteren starken Trend sehe ich In der Mobilität. Das Wissen muss auf allen Endgeräten verfügbar sein. Ob und wie es der Mitarbeiter nutzt, entscheidet er selbst. Die Wissensvermittlung wird sich immer mehr spezialisieren und individualisieren. „One size fits all“ wird es nur noch bei bestimmten Themen, wie Compliance oder Datenschutz geben, die tatsächlich jeden betreffen. Vorratswissen wird weiter an Bedeutung verlieren. Dafür wird es immer wichtiger werden, dass Mitarbeiter das Wissen im richtigen Moment zur Verfügung haben, d.h. Performance Support und Wissensmanagement spielen zukünftig eine große Rolle. Hier wird auch künstliche Intelligenz von großem Nutzen sein. Flexible Arbeitsplätze und Arbeitszeiten werden zur Normalität werden. Das führt zwangsläufig zu mehr Technisierung, um die Zusammenarbeit zu gewährleisten. Technologie wird uns in vielen Bereichen unterstützen und uns den Rücken freihalten. Zum Beispiel werden Chatbots wiederkehrende Supportanfragen beantworten. Einige Unternehmen setzen so etwas heute schon erfolgreich ein.

Die Wissensträger bereiten das Wissen selbst auf, „Maschinen“ sorgen dafür, dass das richtige Thema zur richtigen Zeit bei dem landet, der es braucht. Was macht die Personalentwicklung zukünftig?

Ich glaube, dass Personalentwicklungen zukünftig noch stärker wachsen werden. Die Personalentwickler haben das didaktische und methodische Knowhow. Sie steuern die Erstellung, begleiten und coachen die Wissensträger. Sie geben dem Ganzen einen Rahmen, kümmern sich um die redaktionellen Prozesse und die Technik.  Sie vermitteln mit eigenen Trainings Soft Skills und zielen stärker auf die Entwicklung des Mindsets der Mitarbeiter.

Haben Sie einen ganz persönlichen Wunsch für die Bildung der Zukunft?

Wenn ich mir etwas für die Bildung der Zukunft wünschen dürfte, dann wäre es eine komplett offene und genehmigungsfreie Bildungslandschaft. Unsere Mitarbeiter sind alle erwachsen und können es selbst einschätzen, wann ihre Arbeit es zulässt, ein bis zwei Tage ein Seminar zu besuchen. Wenn sie Lust zu Lernen und gerade etwas Leerlauf haben, sollten sie das auch tun können. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass jeder Mitarbeiter pro Jahr ein Weiterbildungsbudget hat, über das er frei verfügen kann.

Widerspricht das nicht ein Bisschen dem Szenario eines optimierten Performance Supports?

Performance Support ist die Hilfe im „Moment of Need“. Da ist es perfekt, wenn einen Maschine meinen Bedarf genau kennt und das Passende vorschlägt. Aber ich will mich auch weiter entwickeln, vielleicht in eine Richtung, die das Computersystem nicht kennt, weil ich das nie kommuniziert habe. Vielleicht bin ich mir auch nicht sicher und möchte mir ein eigenes Urteil bilden. Ich muss einfach die Freiheit haben, ein Seminar zu besuchen, das mich interessiert oder in einer anderen Abteilung zu hospitieren, deren Aufgabengebiet mich anspricht.

Herr Bergner, vielen Dank dass Sie sich Zeit für das Interview genommen haben. 

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